Erkenntnis #5: Mein Platz ist mein Platz – End of Story!
Es war wieder einer dieser Tage der ganz harmlos anfing und es faustdick hinter den Ohren hatte. Dies könnte tatsächlich der neue Rekord in Sachen Eskalation gewesen sein. Alles schien wie immer. Es ist Freitag und als erste Therapie, für alle noch übermüdeten Patienten, steht Beschäftigungstherapie auf dem Plan. Kurz: jeder macht das, wozu er gerade Lust hat und lässt die Anderen in Ruhe. Dieses Konzept haben alle außer der Therapeutin begriffen. Und so geschah, was geschehen musste. Die Gruppe war komplett überfüllt und nun bekam sie auch noch einen Zuwachs. Die angestammten Patienten hatten ihren Platz sicher, da es für einige von uns (insbesondere für mich) sehr wichtig ist, genau auf ihrem Platz zu sitzen. Nun, die Therapeutin war anderer Meinung. So hieß es auf einmal: „Frau A, Herr B rutschen sie bitte weiter, die Korbflächterin muss an die Stirnseite, sonst hat sie keinen Platz. Frau C (ich) setzen Sie sich bitte auch weg.“ Soweit so gut. Auch das mir in dem Moment schon klar war, dass ich mich kein winziges Stückchen von meinem Platz bewegen würde. Ich brauche meinen Platz und der ist immer an derselben Stelle – ganz einfach. A und B fingen auch an zu murren, weil sie ihren Platz genauso lieb haben wie ich meinen. Letztendlich rutschten sie durch. Ich hingegen konnte nicht. Der Druck in meiner Brust wurde immer größer bis mir wieder klar wurde: Entweder ich darf hier sitzen bleiben oder ich gehe, da ich es an keinem anderen Ort in diesem Zimmer aushalten würde. Die Therapeutin meinte: „Frau C versuchen Sie doch einfach mal es an einem anderen Platz auszuhalten. Dafür ist Therapie doch da, um auch mal Dinge zu tun, die man nicht möchte.“ Das war zu viel. Ich schnappte meine Sachen und rettete mich in den sicher geglaubten Flur. – Fehl gedacht. Die Therapeutin war mir dicht auf den Fersen. Ich sank komplett fertig auf dem Boden zusammen. Sie gab mir die Wahl: „Kommen Sie wieder rein und halten es aus oder ich muss sie auf Station bringen.“ Ich würde den Raum nicht wieder betreten, wenn ich nicht auf meinem Platz sitzen kann. Also ging es nach geschlagenen fünf Minuten Therapie wieder zurück in den sicheren Hafen.
Nächster Zwischenstopp: das Schwesternzimmer, wo die Übergabe des Produktes (Heulendes, Zitterndes Ich) stattfinden sollte. Heute hatte die eigentlich unfreundlichste Schwester Dienst. Als sie mich so sah, lachte sie kurz auf und meinte dann mit der freundlichsten Stimme, die ihrem Mund je entwischt ist: „Ach, Frau C! Was hat man Ihnen denn heute schon wieder angetan?“ Es klang beinahe bemitleidend, warum solche Dinge immer ausgerechnet mir passieren mussten. Aber ich neige halt nun mal dazu. Jeder ist für irgendetwas prädestiniert und ich eben für Situationen, mit denen ich nicht klar komme. Ich bekam meine Bedarfsmedizin und die Feststellung: „So möchte ich sie jetzt aber unmöglich allein lassen.“ Daraufhin wurde ich an meine Psychologin übergeben, die offenbar ebenfalls im Schwesternzimmer stand und seit meiner Ankunft mit einer sich rechtfertigenden Therapeutin diskutierte. In Ihrem Zimmer beruhigte sie mich und entschuldigte sich für ihre Kollegin, dass sie so ein Verhalten mir gegenüber nicht an den Tag legen dürfte. Danach wurde ich zu meinen Steinen entlassen und klapperte beruhigend vor mich hin bis ich nach einer guten halben Stunde der Meinung war, dass ich zur nächsten Therapieeinheit könnte – Genusstraining. Was in meiner Abwesenheit im Therapieraum vorgefallen ist, war mir natürlich völlig unklar. :D
Als ich zur nächsten Therapie kam war die Stimmung dem Erdboden gleich. Derweilen hatte der Tag doch gar nicht so schlecht angefangen! Als die Therapeutin – nett, jung, verständnisvoll – so in die Runde schaute, konnte sie nicht anders als es aus ihr herausplatzte: „ In Ihrer letzten Therapie muss ja ordentlich was schief gegangen sein! So hab ich Sie alle ja noch nie gesehen! Frau C ich kann nicht überhören, dass Sie total angespannt sind.“ In dem Moment hielt es A nicht mehr aus und es sprudelte nur so aus ihr heraus. Schlussendlich fasste die Therapeutin zusammen: „Frau C sitzt hier wie ein Häufchen Elend, Frau A und Herr B sind außer sich vor Wut und Frau D ist auch komplett bedröppelt. Und das hier soll sich eigentlich um Genuss drehen, aber sie alle machen mir grad nicht den Anschein, dass sie gerade irgendwas davon genießen.“ Die letzte Teilnehmerin in dieser Runde bemerkte nun etwas stolz: „Ein Glück, dass ich heute früh kein BT hatte. Fühlt sich gerade extrem gut an.“ Und wie sie recht hatte! Hinterher stellte sich heraus, dass A und B der Therapeutin in BT ihre Meinung gegeigt hatten und mich unumgänglich verteidigt haben, dass alle doch wissen, dass ich nun mal auf meinem Platz sitzen müsse und dass es keinen störe. Die ganze Diskussion muss in meiner Abwesenheit noch eskaliert sein. Und wieder wurde festgestellt, dass sich die Aussage der Psychologin: „Sie müssen lernen auf Ihre Bedürfnisse zu achten und diese auch einzufordern.“, in der Praxis manchmal schwer umsetzbar sind. Und wenn man dennoch drauf besteht, ist mit einer exponentiell gesteigerten Explosionsgefahr zu rechnen.
Also: Wenn jemand unbedingt auf diesem einen Platz sitzen möchte – soll er doch! Damit ist allen geholfen und man geht unnötigem Ärger aus dem Weg. Weiterhin kann man niemanden zwingen seinen Platz zu wechseln, schon gar nicht in einer Psychiatrie. :D