Erkenntnis #11: Selbstmord als Druckmittel ist die größte Gemeinheit der Welt!
Ich möchte ungern behaupten, dass ich eine Expertin im Thema Selbstmord bin, denn das bin ich bei Weitem nicht, aber das letzte halbe Jahr hat mir diesbezüglich wohl schon eine riesen Lektion erteilt. Ich glaube an keinem anderen Ort der Welt als der Allgemeinpsychiatrischen Station einer Psychiatrie wird man so oft und intensiv mit dem Thema konfrontiert. Man kann es gar nicht vermeiden oder übersehen. Schon bei der Einlieferung musste ich jedem Arzt einzeln erklären, warum Selbstmord für mich nicht in Frage kommen würde. Immer wenn es mir wieder richtig schlecht ging, musste ich mich immer wieder erklären, dass ich mir selbst nichts antun möchte, da ich dies meiner Familie nicht antun könnte und es somit für mich rational nicht vertretbar sei. Es ist nicht so, dass das Thema mich nicht beschäftigt hätte. Und wenn man immer wieder danach gefragt wird, ist es glaube ich auch klar, dass man nochmal intensiv abwägt, wie es wäre, wenn man sich jetzt umbringen würde. In einer Woche würde ich sogar 5-mal gefragt, was ich dann schon sehr heftig fand. Später hat man mir verraten, dass ich die am meisten angespannteste Person der Station war und keiner wusste, wann ich in die Luft gehen würde und welche Auswirkungen das alles haben würde. Und dann gab es Menschen, die Selbstmord tatsächlich für eine Lösung hielten, aber nicht immer nur um ihrem Leid ein Ende zu bereiten. Eine Frau hat sich in der Cafeteria beide Arme aufgeschlitzt. Es war ein Chaos. Die ganze Cafeteria sah aus! Am meisten taten mir unsere Putzmenschen und die Cafeteriafrau leid. Sie stand noch Tage danach unter Schock. An dem Tag war sie kaum noch ansprechbar. Sie zitterte ununterbrochen und war einfach nur fertig. Jetzt ist die Frage: Warum sollte jemand ausgerechnet die Cafeteria für einen Selbstmord auswählen? Ich meine es ist der Ort mit den meisten Menschen, an dem Hilfe SOFORT da ist. Sie wollte Aufmerksamkeit… Sie war zum selben Zeitpunkt wie noch 9 weitere Mitpatienten eingeliefert worden. Immer wenn so viele Neue auf einmal kommen, kann sich nicht um jeden sofort intensiv gekümmert werden. Dazu fehlt leider das Personal. Sie hat überlebt und wurde auf die Geschlossene verlegt. Anders ist es bei einer anderen Mitpatientin ausgegangen. Sie hat nichts gesagt. Mit niemandem über ihre Absichten geredet. Eines Morgens wurde jeder einzelne von uns in das Therapiezimmer der Psychologin geholt. Vor einem saßen 3 Ärzte. Man teilte uns mit, dass sie nicht zurückkommen würde. Ich verstand nicht, was sie mir damit sagen wollten. Also fragte ich direkt wie immer in die Runde. Mit schwacher Stimme brachte die Oberärztin heraus, dass sie tot sei. Ich weiß nicht was es war, aber in dem Moment war die einzige Frage die in meinem Kopf herumkreiste: Wie hat sie es gemacht? Das wollte mir aber aus rechtlichen Gründen keiner sagen. Wir bekamen einen Seelsorger an die Seite gestellt, zu dem wir jeder Zeit gehen konnten. Die Stimmung auf Station war an dem Tag sehr merkwürdig. Jeder ging anders mit der Situation um. Nur mich hat es irgendwie recht kalt gelassen, da sie ja einfach nicht mehr da war.
Anders war es als ein Freund, welcher auch depressiv ist, mir eines Tages mal wieder eine Nachricht geschrieben hat, dass er gerade in den Alpen in Italien sei und wieder Selbstmordgedanken hätte. Ich war komplett aufgelöst – panisch. Ich konnte nichts tun. Warum schreibt er ausgerechnet mich an um mir zu sagen, dass er darüber nachdenkt sich etwas anzutun, wenn er doch weiß, dass ich gerade mit Depressionen in der Psychiatrie bin? Die Panik konnte ich nicht verbergen. Ich brauchte Hilfe. Wieder einmal zitterte ich, heulte, hyperventilierte. Ich war hilflos, ich konnte nichts tun. Die Psychologin erklärte mir, dass es nicht meine Schuld sei und ich im Moment der letzte Mensch sei, der ihm helfen könnte. Man könne nicht allen helfen, so traurig es auch sei. Ich wurde mit meinem Fußball nach draußen geschickt und je länger ich gegen den Ball trat, desto mehr wurde mir bewusst, dass das was ich gerade fühlte nichts anderes als Wut war. Dies war der erste Moment an dem ich überhaupt seit langem wieder ein Gefühl wahrgenommen hatte und es übermannte mich. Ich war wütend. So wütend war ich in meinem ganzen Leben noch nicht. Wie konnte er mir das antun? Es war nicht fair! Ich kenne ihn so gut, dass ich wusste, dass er Menschen dies immer nur sagt, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber wenn ich ihm sage, er soll sich Hilfe suchen oder wenn es gar nicht geht sich auch einliefern lassen, verweigert er. Was soll man denn da noch machen? Wenn sich jemand nicht helfen lassen will? Das ist es doch, was in der Psychiatrie passiert. Solche Aktionen sind einfach unter der Gürtellinie.
Ich möchte nicht sagen, dass die Person, die sich umgebracht hat, meinen Respekt hat, weil ich weiß wie viel Leid es dem Umfeld zufügen kann, aber ich respektiere ihre Handlung um ein Vielfaches mehr als jene, die es wegen Aufmerksamkeit ständig androhen oder versuchen.




al bern am 08.Nov 18  |  Permalink
Ist die Tat also besser als die Drohung?

Ich weiß nicht.
Die Drohung ist ein Hilfeschrei.
Da kann noch was verändert werden.

Die Tat IST das Ende.

Warum verdient das Eine mehr Respekt als das Andere?

ich - einfach kompliziert am 12.Nov 18  |  Permalink
Ich würde nicht sagen, dass die Tat besser ist als die Drohung an sich, aber ich bewundere ein Stück weit die Willensstärke, die es benötigt so eine Aktion auch wirklich durchzuziehen. Der Überlebenstrieb ist einer der stärksten und ureigensten Instinkte des Menschen und sich diesem zu widersetzen benötigt einen sehr starken Charakter oder absolute Hoffnungslosigkeit.
Ja, die Drohung ist ein Hilfeschrei. Aber was soll man machen, wenn die Person die angebotene Hilfe nicht annimmt, "weil es ja eh nichts bringen würde"? Also auch nichts verändert haben will? Und sich diese Diskussion schon Ewigkeiten hinzieht?