Erkenntnis # 6: Das Verbot schwimmen zu gehen, schließt baden gehen nicht ein!
Dieses Jahr kam der Sommer schon im April, weshalb der kühle Fluss ganz in der Nähe der Psychiatrie einem mit jedem Tag verlockender vorkam. Bald waren es über 30 °C. Bei den Abendspaziergängen sah ich jeden Tag wie Leute von der Brücke ins Wasser sprangen. Schnell stellte sich heraus, dass sie selbst in der Psychiatrie waren, nur auf der Station für Drogen und nicht wie ich auf der Allgemeinpsychiatrischen. Man hörte ihr jubeln als es platschte. Ich dachte nur: das will ich auch! Aber, wie ich nunmal bin, fragte ich zuerst meine Psychologin und bekam die Antwort: „Das Schwimmen im Fluss ist strengstens verboten" und ich solle nicht mal im Traum dran denken. Die Antwort saß und ich akzeptierte sie zunächst auch. Aber die Hitze wurde jeden Tag schlimmer und das Verlangen immer größer. Es ließ mir keine Ruhe. An solchen Dingen kann ich mich wirklich Stunden, wenn nicht sogar Tage lang aufhalten, den Kopf zerbrechen und nach einer Lösung suchen. Schließlich fragte ich meine Eltern um Rat, denn ich wusste nicht mehr weiter. Ich hatte diesen tiefen inneren Drang mich in das Wasser zu begeben, aber auch das klare Verbot schwimmen zu gehen. Klar könnte man jetzt sagen: „Dann geh doch einfach schwimmen!“, aber so einfach ist das nicht… Mein Körper hat diese dumme Angewohnheit sich strikt an Regeln und Verbote zu halten. Ich kann einfach nichts dagegen tun. Wenn ich es versuche, verkrampft mein ganzer Körper, mein Magen dreht sich förmlich um und in meinem Kopf schreit es: „DU DARFST DAS NICHT, DAS IST VERBOTEN!“ Wenn mich Leute in solchen Momenten zwingen es dennoch zu tun, werde ich panisch und breche in Heulkrämpfen aus, da ich mit dem inneren Konflikt nicht mehr klar komme und auch nicht über meinen Schatten springen kann. Diesmal hatte jedoch mein Papa die rettende Lösung: „Dann geh doch baden!“ Konnte es denn echt so einfach sein? Ich konnte Tage lang an nichts anderes denken als an dieses Verbot und nun war die Lösung doch so einfach! Es war die Idee! Keiner hatte mir auch nur im Ansatz verboten baden zu gehen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für eine Erleichterung das war. Ich hatte die Lücke gefunden. Mit dieser neuen Erkenntnis rannte ich nun förmlich zu dem einzigen Menschen in der ganzen Psychiatrie in dessen Gegenwart ich nicht völlig aufgelöst war. Er schaute mich nur an und meinte: „Du bist doch verrückt und außerdem haben wir in einer Stunde die nächste Therapie.“ Daraufhin meinte ich nur noch: „Mir egal, ob du mitkommst. Eine Stunde reicht lange aus um sich abzukühlen.“ Letztendlich konnte er sich die Blöße nicht geben und kam mit. Ich sage euch, dass Wasser war herrlich. Der Fluss hatte kaum Strömung und eine regelrecht angenehme Temperatur. Ich war das erste Mal in einer sehr langen Zeit wieder glücklich. Es sind die kleinen Dinge im Leben. Und wir waren auch sogar noch pünktlich zur nächsten Therapie.
Leider kann ich genauso wenig lügen, wie ich Gesetze oder Verbote brechen kann… Kurz darauf meinte meine Psychologin, was denn das Schönste der letzten Woche gewesen sei… Meine Antwort kam wie geschossen: „Im Fluss zu baden!“ Sie schaute mich ernst an und meinte nur noch, dass es doch verboten sei. Nach einer kurzen Diskussion und meiner Erklärung, dass sie ja nur vom Schwimmen gehen geredet habe und darin baden nicht eingeschlossen war, gab sie auf und erweiterte das Verbot von nun an auf jegliches Betreten oder berühren des Wassers. Nun dagegen kam ich leider nicht mehr an. Als Konsequenz gab es für alle Patienten in der nächsten Patientenrunde nochmal eine Belehrung, dass das Schwimmen im Fluss verboten sei und dass dies jegliches Berühren des Wassers beinhalte. Nun, die Ironie bei der ganzen Sache war jene, dass sie auf dem Wasser Tretbootfahren nicht ausgeschlossen hatte und einige Wochen später ein anderer Patient dieses Verbot genauso für seine Zwecke umgeformt hatte wie ich, woraufhin wir uns nicht einmal mehr dem Wasser nähern durften. :D